Veranstaltungsdokumentation

Fachtag "Demokratiebildung im Kindesalter – nachhaltig verankern, krisensicher gestalten!?“

 

An dieser Stelle finden Sie die Dokumentation zum ersten Online-Fachtag des Kompetenznetzwerkes Demokratiebildung im Kindesalter, der am 26. November 2020 aus der Berliner Kalkscheune live übertragen wurde. Sie können sich direkt auf dieser Seite die Grußworte sowie die Kurzzusammenfassungen der fachlichen Inputs in Form von Videomitschnitten anschauen. Die erweiterte Dokumentation sowie die zusätzlich beantworteten Fragen der Inputgebenden finden Sie unten in der gelben Infobox zum Download.

Begrüßung und Einführung in den Tag

Mit Grußworten von Thomas Krüger (Deutsches Kinderhilfswerk) und Stefan Zierke (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)

 

Grußwort des Präsidenten des Deutschen Kinderhilfswerkes – Thomas Krüger

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass der heutige Tag so starke Resonanz erfährt; es ist überwältigend, dass sich über 300 Teilnehmende zu dieser Veranstaltung angemeldet haben. Das ist eine tolle Zahl. Es zeigt, wie wichtig Demokratiebildung und politische Bildung in Kita, Hort und Grundschule sind. Politische Bildung ist ein lebenslanger Prozess und in der Fachdidaktik ist es ein wichtiges Thema, wie politische Bildung von Anfang an gelingen kann, als Basis für einen lebenslangen Lernprozess und die Auseinandersetzung mit Demokratie.

Besonders hinweisen möchte ich auf den aktuellen Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung; ich war selbst Mitglied der Kommission: Hier haben wir auch sehr umfängliche Aussagen zu politischer Bildung in Kita, Hort und Grundschule getroffen.

Das Jahr 2020 ist ein sehr besonderes Jahr: Der Beginn der Pandemie hat enorme Herausforderungen für alle von uns gebracht: für die Politik und für die Fachkräfte, die mit Eltern und Kindern arbeiten. Die aktuelle Situation hat uns vor allem gezeigt, wie vielfältig die Herausforderungen sind und wie kompliziert die Situation ist, auch vor dem Hintergrund, dass die Belange von Kindern gehört/berücksichtigt werden bzw. sich öffentlichen Raum verschaffen können. Am Anfang hatte man fast den Eindruck, niemand würde den Kindern zutrauen, vorsichtig und verantwortungsvoll mit der Pandemie umzugehen. Zum anderen dann die Konsequenzen, nämlich was es bedeutet, wenn man die Freiheitsrechte von Kindern einschränkt bis hin zu der Herausforderung, dass Kinder in räumlich beengten Situationen leben oder auch in familiär schwierigen Situationen oft von häuslicher Gewalt bedroht sind.

Mittlerweile wird besser auf die Interessen der Kinder achtgegeben, aber mit Kindern wird meines Erachtens immer noch viel zu wenig gesprochen und entschieden, eher spricht man für sie. Hier hat die UN-Kinderrechtskonvention neben dem Schutzaspekt, die Förderung und eben auch die Beteiligung stark gemacht. Hier ist noch viel Luft nach oben. Hier können wir als Erwachsene die Einbeziehung von Kindern in aktuelle Entscheidungsprozesse noch viel mehr zum Thema machen.

Ich freue mich, dass wir heute gemeinsam im Rahmen der Fachtagung den Blick darauf richten können, wie Demokratiebildung, gerade auch in Krisenzeiten, gelingen kann. Die UN-Kinderrechtskonvention hat die Rechte im frühkindlichen Alter und im Primarbildungsbereich nachhaltig für alle Kinder verankert. Es liegt an uns, diese auch entsprechend umzusetzen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen erkenntnisreichen Fachtag, einen guten Austausch und natürlich auch Spaß, der vielleicht digital noch erlernt werden muss. Kopf hoch, diese Herausforderung werden wir meistern – für das Wohl unserer Kinder in diesem Land, wie überall auf der Welt. Wir brauchen lautstarke Stimmen, aber wir brauchen auch die Stimmen der Kinder selbst.

Vielen Dank und alles Gute!


 

Grußwort des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend –Stefan Zierke

Guten Morgen auch von meiner Seite! Vielen Dank, dass ich hier sein darf, vielen Dank an die Organisation und die Menschen, die heute hier sind, die sehen Sie [liebes Publikum] gerade nicht, die eine fleißige Arbeit getan haben, um genau diesen Tag so wundervoll starten zu lassen, aber sicher auch Ergebnisreich und super Enden mit vielen Ergebnissen.

Lieber Thomas Krüger, wir kennen uns aus vielen anderen Veranstaltung gerade im Bereich „Demokratie stärken“. Sehr geehrter Herr Hanke, liebe Frau Bönisch, liebe Frau Wagner, aber vor allem auch sehr geehrte Damen und Herren, wo auch immer und wie auch immer Sie an dieser Sitzung teilnehmen.

Die Teilnahme an digitalen Formaten erfordert den Zugang zu digitalen Medien – vor allem auch im ländlichen Raum, wo wir eindeutig noch besserer Zugänge schaffen müssen. Gerade auch im Bereich der Demokratiebildung ist Digitalisierung ein wichtiges Mittel, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Ich freue mich besonders, dass wir das Projekt „Demokratie leben!“ weitergeführt und finanziell aufgestockt haben. Und ich freue mich, dass wir auch gewichtige Akteur*innen für dieses Kompetenznetzwerk gewonnen haben.

Das Demokratieverständnis und das gesellschaftliche Miteinander werden in diesen Zeiten stark thematisiert und oft müssen von den – zumeist – Erzieherinnen neben den Kindern auch die Eltern und Familien „mit auf den Weg“ gebracht werden. Demokratiebildung hört sich für Kinder etwas kompliziert an und meint da ja etwas anderes, als wir es unter Erwachsenen thematisieren. Wir wollen, dass Kinder gut miteinander umgehen können, ohne Andere zu diskriminieren oder sich diskriminieren zu lassen. Auch wenn die Menschen unterschiedlich sind oder auch verschiedene Vorstellungen vom Leben haben. Mobbing ist ja auch schon ein großes Thema, welches immer mehr Bedeutung in Schulen und auch Kitas gewinnt.

Die einschlägigen Programme der Bundesregierung, die Fachexpertise in Untersuchungen oder der jüngste Kinder- und Jugendbericht zeigen wichtige Erkenntnisse und Ergebnisse, die wir alle gewinnbringend nutzen können.

Aber das Wichtige sind Sie, die sich heute digital zusammenschließen, um Erfahrungen auszutauschen, aufzunehmen und mitzugeben. Damit sind Sie die Menschen, die diesen wichtigen und lohnenswerten Weg der Demokratiebildung für die Kinder – und manchmal auch für die Eltern – mitgehen. Und Sie leisten in dieser Corona-Zeit außergewöhnliche und sehr wichtige Verstehens- und Übersetzungsleistung von aktuellen Verordnungen und Vorgaben von Bundes-, Landes- und gesundheitsbehördlicher Seite. Sie leisten für die Kinder eine super Arbeit: die Regeln zu vermitteln, sich an Regeln zu halten und darüber auch sprechen und streiten zu dürfen! Daher mein allergrößter Dank an Sie!

Ich wünsche Ihnen allen eine gute Konferenz und viel Spaß heute!

Fachliche Inputs zum Thema „Demokratiebildung in Kita, Hort und Ganztag – Wie gelingt Sie auch in Krisenzeiten?“

INPUT 1: „Demokratie unter Druck – zum Zusammenhang gesellschaftlicher Entwicklungen und der Demokratiebildung von Kindern“

- Kurt Edler, ehem. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaftlich für Demokratiepädagogik e.V.

Hinweis: Leider gab es bei diesem Vortrag technische Schwierigkeiten und die genaue schriftliche Dokumentation ist an dieser Stelle nicht möglich. Einen Teil des Vortrags können Sie allerdings im Video nachschauen.

Fragen an Herrn Edler (Live-Chat)  

Was würden Sie sagen, was Kinder in unserer Gesellschaft wirklich brauchen, um demokratische Resilienz zu entwickeln?

Lernen, nein zu sagen – in einer Umgebung von besonnenen und selbstreflektierten Erwachsenen mit demokratischer Gesinnung. Dies muss eingeübt werden. Um auch in Konflikten mit Unerschrockenheit und Mut widersprechen zu können.


Wie können wir Erwachsene uns bewusster werden und sein, bezogen auf das Machtverhältnis zum Kind?

Wir müssen (mehr) Gelassenheit und pädagogische Souveränität aufbringen über Macht und Ohnmacht und Freiheit zu sprechen, sowohl als Eltern als auch als Lehrpersonal z.B. in der Schule.

Hinweis: in der gelben Infobox ganz unten finden Sie ein Dokument mit zusätzlich beantworteten Publikumsfragen. 

INPUT 2: Die UN-Kinderrechtskonvention als verbindlicher Rahmen für eine ganzheitliche Demokratiebildung?

– Prof. Dr. Daniela Steenkamp, Professorin für Wissenschaft und Methoden Sozialer Arbeit, Duale Hochschule Baden-Württemberg

Die Vermittlung und Etablierung von demokratiebezogenen Kompetenzen sowie deren Anwendung sind elementar, um Kindern in ihren Lebens- und Lernzusammenhängen die Möglichkeit auf Einflussnahme zu geben. Dabei verstehen Kinder ganz verschiedene Dinge unter Demokratie: z.B. dass jeder seine Meinung sagt, Demos, auf Dinge einigen, die wichtig sind, der Bundestag, gleichberechtigte Menschen, das die Menschen entscheiden. Kindern kann gut und einfach vermittelt werden, dass es etwas bringt, seine Meinung zu sagen und dadurch Veränderungsprozesse anzustoßen (Einspielung des Kurzfilms „Kinderrechte in der Schule“).

Die UN-Kinderrechtskonvention (UN- KRK) ist die Grundlage für Demokratiebildung, doch wie verbindlich ist sie für Deutschland? Bisher liegen vier so genannte Staatenberichte vor; zuletzt 2019. Und was sagen diese Berichte zum Soll- bzw. Ist-Zustand der Demokratiebildung in Deutschland, vor allem für die Verankerung bzw. Vermittlung der UN-KRK im Bildungsbereich (Kita, Hort, Ganztag)? Ein Blick auf die Forschungsaktivitäten und Projekte zur Demokratiebildung der letzten Jahre zeigt ein durchwachsenes Bild: wenig für die Bereiche Krippen und außerschulischer Kontext, Einiges für Schulen und zur Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen allgemein und nur Vereinzeltes für den Kita-Bereich (siehe u.a. LBS-Kinderbarometer 2018 sowie Kinderrechtereport 2019).

Was folgt aus dieser Zusammenschau? Es braucht mehr Partizipation in Grundschulen, mehr Fortbildungen im Bereich der Demokratiebildung, eine Stärkung der Schulsozialarbeit, ein niedrigschwelliges Beschwerdemanagement und die stärkere Einbindung von Online-Beteiligungsangeboten. Doch wer mehr Demokratie in Bildungseinrichtungen will, stellt grundsätzliche Fragen – nach Macht, Zeit und Ressourcen sowie der Ausbildung von Fachkräften.


Fragen an Frau Steenkamp (Live-Chat)

Wie kommen wir weg davon, dass die Umsetzung von Kinderrechten z. B. in der Schule so stark von Einzelpersonen abhängt? #frauherrgemeinodersympathisch

Über Leitbilder: Jede Einrichtung sollte ein kleine „Verfassung“ haben, in der demokratische Grundprinzipien formuliert sind, die ihrerseits als transparentes und verbindliches Qualitätsmerkmal gelten. Diese sind Gradmesser und Grundlage, gegebenenfalls auch für harte Auseinandersetzungen.


Wie gelingt eine ganzheitliche Demokratiebildung im Sinne von ganzheitlich erfahrbar und nicht nur in den Einrichtungen? Wie muss eine Zusammenarbeit mit den Sorgeberechtigten hier aussehen?

Der zweite Aspekt der Frage ist schwierig, da die Familien bzw. Sorgeberechtigten sehr verschiedenen sind und in unterschiedlichen Zusammenhängen stehen. Der erste Teil der Frage ist leichter zu beantworten: z.B. durch „Service learning“ – das heißt, das die Kinder an ein bis zwei Schulstunden in der Woche in Einrichtungen vor Ort gehen (z.B. NABU oder Altersheime), wo Menschen zusammenkommen und dort konkret im sozialen Raum lernen.
 

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach "Beschwerden" im Rahmen von Partizipation bzw. demokratischer Bildung? Ist das nicht einer der wichtigsten Aspekte überhaupt?

Ein gutes Beschwerdemanagement ist nötig; aber der Begriff ist an sich schwierig (weil negativ besetzt). Er kann und sollte mit dem Begriff der Qualität verbunden werden – z.B. über so genannte Qualitätszirkel, bei denen alle Beteiligten an einen Tisch kommen und über mögliche Probleme oder positive Beispiel sprechen. Es ist wichtig, den Aspekt der Gestaltung konstruktiv mitzudenken.


Wie kann Demokratiebildung in Schulen praktiziert werden, die nach wie vor auf Frontalunterricht setzt und die Selbstbildungsprozesse von Kindern kaum fördert.

Durch kompetente Lehrkräfte, die möglichst wenig Frontalunterricht machen und ein breites Spektrum an Methoden kennen und anwenden. Solche Methoden werden durchaus an den Universitäten vermittelt, aber der mögliche „Praxisschock“ lässt viele doch auf den Frontalunterricht als das Mittel der Wahl zurückgreifen.


Wie können jüngere Kinder mehr beteiligt werden (z.B. Krippe)?

Vor allem über das Wahr- und Ernstnehmen von nonverbaler Kommunikation und Signalen. Das bedarf einer Kompetenz der Fachkräfte, solche Zeichen gut zu deuten und dann damit umzugehen. Aber man muss auch selbstreflektierend zur eigenen Haltung stehen und sich ehrlich fragen: Wie halte ich es mit der Macht?


Welche Ideen haben Sie, wie wir die Fachkräfte hinsichtlich ihrer Haltung, zu mehr Beteiligung qualifizieren können?

Es geht grundsätzlich um persönliche Fragen im Umgang mit Diversität und Macht; die individuelle Haltung der Fachkräfte entscheidet darüber, wie Situationen wahrgenommen werden und welche Handlungs- oder Interventionsoptionen vorgegeben werden.

Hinweis: in der gelben Infobox ganz unten finden Sie ein Dokument mit zusätzlich beantworteten Publikumsfragen. 

INPUT 3: Inklusive Demokratiebildung von Anfang an! Die politischen Selbstwirksamkeits-erfahrungen diskriminierungserfahrender Kinder in der frühen Kindheit stärken

– Prof. Dr. Maisha Maureen Auma, Professorin für Kindheit und Differenz (Diversity Studies) Hochschule Magdeburg-Stendal

Angesichts unserer krisengeprägten Gegenwart ist es zunächst elementar wichtig, dass wir diskriminierungs- und/oder Rassismus erfahrene Kinder und ihre Zugehörigen bzw. Communities als zugleich systemrelevant und vulnerabel ernstnehmen. Und wir brauchen eine intersektionale und Rassismus-kritische Perspektivierung von Demokratiebildung, d.h. wir müssen unsere Aufmerksamkeit explizit auf die Vielschichtigkeit sozialer Ausgrenzungs-prozesse richten und ungleich verteilte Diskriminierungsrisiken thematisieren.

Wir brauchen zudem eine Fundierung der Konzepte von Inklusion, Intersektionalität und Diversität, denn Demokratiebildung, die diese Aspekte nicht hinreichend in den Blick nimmt, verallgemeinert das Lebens-, Arbeits- und Familienmodell weißer, bürgerlicher, cis-kultureller und heterosexueller Familien und deren Kinder. Wir müssen zunächst die vorhandenen Marginalisierungsrealitäten von mehrfachdiskriminierten Kindern, ihrer Zugehörigen und Communities deutlich mehr wahrnehmen und klar politisieren. Dabei müssen anerkennungspädagogische Konzepte der politisch-kulturellen Bildung deutlich mehr fokussiert werden als Klientifizierung und Kulturalisierung. Alle gewichtigen pädagogischen Strategien für die Erhöhung von Diversität müssen sich daran messen lassen, inwiefern sie die Lage der am stärksten marginalisierten Zugehörigkeiten einer sozialen Gruppe effektiv verbessern. Hierfür braucht es einen Neuentwurf bzw. Re-Mix: Empowerment, Normalisierung und Dekonstruktion sind jeweils für sich genommen nicht ausreichend. Diese Strategien gelingen erst in der gegenseitigen Bezugnahme und Verknüpfung; ein solcher multivalent ausgerichteter Ansatz führt jedoch durch starke Konfliktfelder (sog. Trilemma).

Uns muss es darum gehen, jeweils politische Selbstwirksamkeitserfahrungen von mehrfach-marginalisierten BIPoC-Kindern zu stärken! Es braucht viel mehr kompensierende Anerkennungsressourcen, um einen positiven Selbst- und Weltbezug aufbauen sowie ein positives Selbstverhältnis stabil halten zu können. Dafür müssen wir vielmehr auf eine kulturell-politische Bildung für eine hyperdiverse, „postmigrantische Generation“ fokussieren – wie beispielsweise mittels: der Graphic Novel „The Arrival“ von Shoun Tan, des Bilderbuches „Visiting Day“ von Jacqueline Woodson oder des Bilderbuches „Mama´s Nightingale. A Story of Immigration and Separation“ von Edwidge Danticat.

 

Fragen an Frau Auma (Live-Chat)

Was empfehlen Sie ganz konkret, um das Thema Intersektionalität - machtkritisch - in der pädagogischen Praxis (endlich) noch sichtbarer & wirksamer werden zu lassen?
Was empfehlen Sie Fachkräften vor Ort (Schule/Hort/Ganztag), die diskriminierungskritisch arbeiten wollen, wie können sie vorgehen? Wie wirkt sich dies dann bestenfalls auch auf die bestehenden Strukturen der jeweiligen Einrichtung aus?

Dies ist eine gewichtige Frage. Ich habe einige Vorschläge: Zunächst müssen marginalisierte Menschen anwesend und sichtbar sein – im Alltag, in Verlagen, in Konzeptionen. Ohne solche Anwesenheiten findet keine wirkliche Diversity statt und diese Menschen finden zu wenig oder kein Gehör. Außerdem muss diese Sichtbarkeit sowohl vertikal (in der gesellschaftlichen Breite) als auch horizontal (in entsprechenden Fach- und Führungskreisen) gestärkt bzw. etabliert werden. Und Inklusion braucht eine sozialkritische Bewegung.

 

Was würden Sie sich von einem Projekt wie dem Kompetenznetzwerk wünschen, um die entsprechenden Veränderungsprozesse zu stärken und/oder anzustoßen?

Es bedarf einer Infrastruktur, auf vielen verschiedenen Ebenen wie zum Beispiel der Personal- und Organisationsentwicklung. Es muss darum gehen, eine kritische Infrastruktur aufzubauen und zur Verfügung stellen und solche Prozesse zu begleiten. Es muss auch darum gehen, Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen und konkret zu eröffnen und mögliche, machtkritische Implikationen konkret mit aufzunehmen.

 

Wie können diese Themen stärker und schnell in die Ausbildung pädagogischer Fachkräfte einfließen/ Ausbildungspläne?

Das muss wissenspolitisch passieren: Die Diversitätspädagogik muss stärker in der professionellen Ausbildung verankert werden (vom Rand- zum Kernthema); erst dann kann sie in Wissens- und Forschungsfelder stärker hineinwirken.

 

Wir haben ja heute erfahren, dass die Meinungen von Kindern zu Beginn der Pandemie kaum Gehör fanden. Waren BIPOC-Kinder sogar stärker betroffen? Gibt es hierzu vielleicht Erhebungen?

Hier kann ich nur eine vorläufige Antwort geben: Es ist eindeutig mehr Forschung in diesem Bereich notwendig. Auf der Ebene von Fachressorts (z.B. Berliner Senat) gibt es diesbezügliche, sozial-differenzierte Erhebungen, die wohl auch unter anderem die Auswirkungen der Pandemie auf rassistisch-marginalisierte Kinder ermöglichen. Aber auf diese Daten werden wir erst Zugriff im nächsten Jahr haben. Wir freuen uns sehr auf diese Daten und den damit verbundenen Erkenntnisgewinn.

INPUT 4: Demokratiebildung und Partizipation. Oder: Wie wird Mensch eigentlich Demokrat*in?

– Prof. Dr. Kathrin Aghamiri, Professorin für Sozialpädagogik Fachbereich Sozialwesen der FH Münster

Hinweis: zu diesem Vortrag steht kein Video zur Verfügung.

Partizipation steht im Mittelpunkt vieler gesellschaftlich hoch relevanter Themen wie beispielsweise Bildung, Inklusion oder Kinderrechte und -schutz; und auch für die Demokratie selbst ist Partizipation ein wesentliches Moment. Demokratie – verstanden als eine Herrschaftsform des Volkes – muss als politisch verfasste Gesellschaftsordnung allerdings immer wieder und bis ins hohe Alter hinein „gelernt“ werden. Außerdem stellt sie in erster Linie eine Form des Zusammenlebens und der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung dar.

In diesem Sinne können pädagogische Einrichten als „embryonic societies“ bezeichnet werden. Folglich können und sollen in Kita und Hort demokratische Regierungs- und Lebensformen eingeübt werden, wo Fragen nach Macht und Entscheidungshoheit, Möglichkeiten der Meinungsbildung und des Engagements sowie konkret dialogische Interaktionen offen thematisiert und gelebt werden. Kinder lernen Demokratie, in dem sie Demokratie erfahren – eben auch im Alltag der pädagogischen Einrichtung durch Mitbestimmung und Mitgestaltung. Aus Orientierung, Wissen und Erfahrung lernen sie Zusammenhänge herzustellen und urteilsfähig zu werden.

Eine wesentliche Grundlage und zentrale Bedingung für ein in diesem Sinne demokratisches Miteinander ist es, Meinungsbildungsprozesse aktiv zu gestalten und sich so anzueignen. Denn Demokratie heißt nicht nur, die Menschen in den Genuss von Rechten zu bringen, sondern sie vor allem als politische Subjekte zu stärken. Und: Demokratie braucht Vertrauen!

 

Fragen an Frau Aghamiri (Live-Chat)

Sie haben ja ein besonderes Schlaglicht auch auf Inklusion im Zusammenhang von Partizipation geworfen. Wie kann denn Partizipation in Kita inklusiv gestaltet werden? Wie eine Dominanz der "Stärkeren" verhindert werden?

Demokratiebildung braucht mehr als Verfahrensgrundsätze; es gilt Inklusion und Partizipation zu verknüpfen und damit Zugänge für die jeweiligen Kinder schaffen, die gangbar sind. Es ist zu fragen: Auf welche Erfahrungen der Kinder können wir zurückgreifen, mit welchen können wir gut arbeiten? Es muss nicht immer mit Wortsprache gearbeitet werden, sondern vielleicht auch mit Bildern? Es gilt, eine sensible Wahrnehmung zu entwickeln, Beobachtungen ernst zu nehmen und entsprechende Übersetzungsleistungen zu erbringen.
 

Ich sehe die Schwierigkeit, dass vielfach Fachkräfte in ihrer Arbeitswelt selbst zu wenig beteiligt/gehört werden. Zum Anspruch des gemeinsamen (Er)Lebens von Demokratie ein Widerspruch, oder?!

Ja, das ist ein Widerspruch. In vielen Projekten ist genau das die Erfahrung. Die Fachkräfte müssen auch die Macht haben, um über Machtfragen zu reden; man muss selbst beteiligt sein, um beteiligen zu können. Das Beteiligungsrecht gilt für alle.

 

Wie kann ein gutes Beschwerdemanagement im Hinblick auf Diversity konzeptionell gut verankert werden?

Diese Frage verbindet sich mit Frage 1: Es geht um den Zusammenhang von Partizipation und Inklusion bzw. partizipativer Inklusion; das gilt auch für das Instrument des Beschwerdemanagements: Mit wem haben wir es zu tun im Miteinander? Was brauchen Kinder, um sich beschweren zu können? Welche Kanäle müssen wir aufmachen?

Es muss viele Möglichkeiten der Beschwerde geben; es müssen unterschiedliche Zugänge vorhanden und zugänglich sein. Doch Beschwerden von Kindern müssen zunächst „ausgepackt“ werden. Das heißt wir müssen genau hinschauen, gut beobachten und übersetzen.

 

Wie binden Sie das Thema Diskriminierung/-skritik, neben Adultismus, in das Nachdenken über Demokratiesierungsprozesse ein? Besonders im Hinblick auf junge Menschen?

Das ist eine große Herausforderung, weil wir auch in demokratischen Prozessen kulturelle Hegemonien vorfinden. Hierfür braucht es eine besondere Sensibilisierung, es müssen Reflektionsprozesse im Team thematisiert werden, wir müssen uns gegenseitig mit den eigenen Ideen von Normalität, von Richtig und Falsch auseinandersetzen. Es geht aber nicht nur um Prinzipien von Urteilsfähigkeit, sondern auch ganz konkret und sachbezogen darum, die jeweils beste Lösung zu finden, die es gibt. Kita findet aber nicht im luftleeren Raum statt, sondern die Kinder kommen mit ihren lebensweltlichen Erfahrungen und Prägungen, mit denen dann umgegangen werden muss.

Hinweis: in der gelben Infobox ganz unten finden Sie ein Dokument mit zusätzlich beantworteten Publikumsfragen. 

Zusammenfassung des Tages

 

Elisa Bönisch - Leiterin der Fachstelle Kinderrechtebildung des Deutschen Kinderhilfswerkes e.V. und Petra Wagner - Leiterin der Fachstelle Kinderwelten am Institut für den Situationsansatz (ISTA)

Vielen Dank an die tolle Moderatorin, Fatma Erol-Kılıç, danke an die Inputgebenden und die Teilnehmer*innen für diesen erkenntnisreichen Tag; es gibt viele neue Fragen, die wir gerne mitnehmen. Wir sehen an einer Veranstaltung wie heute, dass es auch digital möglich ist, in Kontakt und Austausch zu sein, dank der technischen Tools, die eben auch Barrieren senken können und eine Teilnahme landesweit möglich machen.