Arbeitsschwerpunkte

Inklusion

Inklusion ist eines unserer vier Schwerpunktthemen. Auf dieser Seite erfahren Sie mehr zum Zusammenhang von Inklusion und Demokratiebildung.

Inklusion

Inklusion meint das Gegenteil von Exklusion und ist im Bildungsbereich eine Vision von Nichtausgrenzung und Teilhabe aller Kinder. Die Praxis der Inklusion meint Wertschätzung von Unterschieden und gleichzeitig Abbau von Barrieren, die Kinder am Lernen hindern. Veränderungen auf allen Ebenen sind angezeigt, auf der Ebene pädagogisch-fachlichen Handeln, der institutionellen Ebene der Bildungseinrichtungen, wie auch auf der strukturellen Ebene des Bildungssystems (vgl. Sulzer/Wagner 2011, S.11). In Deutschland verbreitete sich der Diskurs um Inklusion erst mit dem Inkrafttreten der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in 2009 (BMAS 2018). Im Diskurs um Inklusion werden Demokratiedefizite skandalisiert, die sich in der Exklusion von Menschen an gesellschaftlicher Teilhabe zeigen, nicht nur im Hinblick auf Behinderung. Eine „Inklusive Demokratiebildung von Anfang an“ wird gefordert (vgl. Auma 2020).

 

UN-Konvention für die Rechte der Menschen mit Behinderungen

„Wir sind nicht behindert, wir werden behindert“ war das Leitmotiv, mit dem Menschen jahrelang dafür kämpften, das medizinische Modell von Behinderung zugunsten eines menschenrechtlichen abzulösen: „Nicht die Tatsache, dass jemand einen Rollstuhl benutzt oder langsamer und anders denkt oder fühlt, verursacht die Aussonderung aus der Gesellschaft, sondern Diskriminierungen und die Vorenthaltung von Menschenrechten.“ (Degener 2010, S.57) Die Grundsätze der UN-Konvention sind Nicht-Diskriminierung, Chancengleichheit, Zugänglichkeit/ Barrierefreiheit, die volle Teilhabe an der Gesellschaft bei Anerkennung der Unterschiede: „Gleichheit ohne Inklusion bedeutet Assimilation um den Preis der Unterdrückung oder der Vernachlässigung der Unterschiedlichkeit, die wichtig für die Identität oder die Entwicklung der einzelnen Menschen sind.“ (ebd. S.58)

 

Inklusive Bildung für alle Kinder

Die Grundsätze der UN-Konvention nehmen frühere Forderungen nach „inclusive quality learning“ auf (UNESCO 1994), die 2000 im UN-Aktionsplan „Education for All - Bildung für Alle“ enthalten sind (DUK 2015). Ausgangspunkt waren weltweit Teilhabebarrieren und Ausschlüsse von Kindern aus Bildungssystemen, nicht ausschließlich von Kindern mit Behinderungen. Der Zugang aller Kinder zu „qualitativ hochwertiger Bildung“ sollte Bildungsgerechtigkeit sicherstellen. Angemahnt war bereits damals ein Paradigmenwechsel, wonach sich nicht mehr das einzelne Kind beim Lernen an die Bildungseinrichtungen anzupassen habe, sondern Bildungseinrichtungen so zu verändern seien, dass sie zu den Bildungsprozessen der unterschiedlichen Kinder passten (vgl. UNESCO 1994). Dieser Paradigmenwechsel problematisiert allgemein die Selektivität im Bildungswesen und fordert Strategien, um das gleiche Recht aller Kinder auf Bildung bei gleichzeitiger Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Lebensverhältnisse und Benachteiligungsrisiken einzulösen. Dies gilt sowohl beim Zugang zu Bildungseinrichtungen wie auch innerhalb der Bildungseinrichtungen. Inzwischen ist „inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung“ auch eines der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda 2030 der Vereinten Nationen. Im Weltbildungsbericht von 2020 werden weltweit jedoch erhebliche Mängel in der Umsetzung festgestellt (DUK 2020).

 

Umsetzung von Inklusion

Deutschland hat sich mit Unterzeichnung der UN-Konvention für die Rechte der Menschen mit Behinderungen verpflichtet, für ein inklusives Bildungssystem zu sorgen. Dazu gehört, kein Kind auszuschließen und die Unterschiede zwischen Kindern und Familien als Tatsache zu achten und für Bildungsprozesse zu nutzen. Inwiefern Deutschland seine Verpflichtung einhält, überprüft der UN-Fachausschuss mit dem Fokus auf Behinderung und spricht auf Grundlage von Staatenberichten Kritik und Empfehlungen aus. 2015 kritisierte der UN-Fachausschuss „bestehende Sonderwelten“ im Bereich Schule in Deutschland (Aichele 2019), insbesondere die nach wie vor hohe Quote von Schüler*innen in Förderschulen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte, dem seit 2015 auf nationaler Ebene das Monitoring der Umsetzung der Konvention obliegt, beklagt entscheidenden Fortschritt und kritisiert den mangelnden „politischen Willen“ zur Umsetzung (DIMR 2022, 24). Dass in den amtlichen Übersetzungen der UN-Texte nach wie vor „inclusion“ mit „Integration“ übersetzt wird, zeigt insgesamt ein Festhalten am Integrations-Paradigma, wonach eine vorher exkludierte Gruppe in ein bestehendes System hereingenommen wird und sich anpassen soll. Der Inklusionsaktivist Raul Aguayo-Krauthausen setzt dem entgegen: „Inklusion verfolgt einen radikal anderen Ansatz – es ist die Idee eines Systems, an dem alle Menschen gleichberechtigt teilhaben und selbstbestimmt zusammenleben“ (Aguayo-Krauthausen 2023).

 

Inklusion und Frühe Bildung

Bereits 2009 hat die Deutsche UNESCO-Kommission eine Resolution „Frühkindliche Bildung inklusiv gestalten“ (DUK 2009) erlassen, die alle Heterogenitätsdimensionen und Diskriminierungsformen anspricht. Seither wird die Fachdebatte um Inklusion in Kitas mit zahlreichen Publikationen, Projekten und Veranstaltungen geführt. Besondere Aufmerksamkeit erhielt der in Großbritannien entwickelte „Index für Inklusion“, ein intersektional angelegtes Analyseinstrument mit dem Fokus auf inklusive Strukturen, Kulturen und Praxen in Kitas und Schulen (Booth u.a. 2010). Gleichzeitig wird der umfassende Anspruch von Inklusion auf Wertschätzung von Heterogenität und konsequenter Nichtausgrenzung entlang jeglicher Differenzlinien nur zögerlich eingelöst. Inklusion wird nicht systematisch als Aspekt von Demokratiebildung gefasst (vgl. Wolter 2021). Kinder aus benachteiligten Familien besuchen häufiger Kitas mit geringerer Qualität (vgl. Stahl 2015; DJI 2020). Daneben gibt es auch „ungleichheitshervorbringende Praxen im Bildungsalltag in Kindertageseinrichtungen“ (Hohgrebe/Mierendorff/Nebe 2021, S. 4), also pädagogische Praxen, die selbst benachteiligend und exkludierend wirken und damit zur Bildungs-Benachteiligung von Kindern beitragen. Der Kitabesuch alleine führt nicht zum Abbau von Bildungsbenachteiligung (ebd.).

Neben Zugangshürden in die Kitas für Kinder aus armen und zugewanderten Familien (DIW 2020) gibt es nach wie vor die Aussonderung von Kitakindern mit diagnostiziertem „Förderbedarf“ in Sondereinrichtungen (33% in 2013, vgl. Klemm 2015). Der Inklusionsbegriff bleibt häufig auf die Differenzlinie Behinderung verengt, gleichzeitig gibt es unverändert aussondernde Routinen, erkennbar an Bezeichnungen wie „Inklusionsgruppe“, „Inklusionsfachkraft“ oder „Inklusionskind“. Der Etikettenschwindel hat zusammen mit unzureichenden Rahmenbedingungen zur Folge, dass Inklusion als nicht realisierbar gilt und insgesamt in Frage gestellt wird (Aichele 2019). Dem setzt Raul Aguayo-Krauthausen entgegen: „Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden“ (2023).

 

Inklusion in der Praxis

Es gibt Einrichtungen, die sich auf den Weg machen, um Inklusion in einem intersektionalen Verständnis auf alle Vielfaltsaspekte und Erscheinungsformen von Diskriminierung zu beziehen und ihre Praxis danach auszurichten (vgl. Ayten u.a. 2019). Sie kritisieren strukturelle Behinderungen und unzureichende Bedingungen. Es fehlt an Personal für kontinuierliche Prozesse, an Reflexionszeit im Team, an Zeit für die Zusammenarbeit mit den Familien, an Ruhe und Zeit mit einzelnen Kindern und kleinen Gruppen, und auch an einer geteilten Wertebasis pro Inklusion und an entsprechender Unterstützung durch den Träger. All das ist mit einem Appell an eine „inklusive Haltung“ der Pädagog*innen nicht zu machen (vgl. Yiğit in DUVK 2019). Pädagogisches Umdenken ist an Ressourcen gebunden. Um „Barrieren in Bezug auf Spiel, Lernen und Partizipation“ (Booth u.a. 2010) zu erkennen und abzubauen, braucht es Wissen und fachliche Kompetenzen, die in reflexiven Prozessen im Team entwickelt werden. Als inklusives Praxiskonzept mit einem weiten und intersektionalen Begriff von Inklusion gilt der Ansatz Vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung (vgl. Wagner 2022). Für zentrale pädagogische Handlungsfelder von Kitas liegen Praxisanregungen und Arbeitshilfen zur systematischen inklusiven Qualitätsentwicklung vor (Vgl. ISTA 2017, 2018, 2021).

Literaturempfehlungen

Aguayo-Krauthausen, Raul (2023): Wer Inklusion will, findet einen Weg, wer sie nicht will, findet Ausreden. Hamburg: Rowohlt Polaris.

Aichele, Valentin (2019): Eine Dekade UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. BPB Aus Politik und Zeitgeschichte. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/284888/eine-dekade-un-behindertenrechtskonvention-in-deutschland/

Auma, Maisha (2020): Inklusive Demokratiebildung von Anfang an! Die politischen Selbstwirksamkeits-erfahrungen diskriminierungserfahrender Kinder in der frühen Kindheit stärken. Input 3, Fachtag Kompetenznetzwerk Demokratiebildung im Kindesalter am 26.11.2020 https://www.kompetenznetzwerk-deki.de/aktuelles/online-fachtag-2020.html

BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2018): Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. https://www.bmas.de/DE/Soziales/Teilhabe-und-Inklusion/Politik-fuer-Menschen-mit-Behinderungen/un-behindertenrechtskonvention-rechte-von-menschen-mit-behinderungen-langtext.html; https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/CRPD/CRPD_Konvention_und_Fakultativprotokoll.pdf

Booth, Tony/ Ainscow, Mel/ Kingston, Denise (2010): Index für Inklusion. (Tageseinrichtungen für Kinder) Spiel, Lernen und Partizipation in der inklusiven Kindertageseinrichtung entwickeln. Dt. Fassung, Hrsg. GEW, 3. Auflage, F/M.

Degener, Theresia (2010): Die UN-Behindertenrechtskonvention. In: Vereinte Nationen 2/2010, S. 57-63 https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/publications/PDFs/Zeitschrift_VN/VN_2010/Heft_2_2010/03_Degener_beitrag_2-10_30-3-2010.pdf

DIMR Deutsches Institut für Menschenrechte DIMR (2022): Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Juli 2021 – Juni 2022. Bericht an den Deutschen Bundestag gemäß § 2 Absatz 5 DIMRG. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Menschenrechtsbericht/Menschenrechtsbericht_2022.pdf

DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2020): Gründe für unterschiedliche Kita-Nutzung von Kindern unter drei Jahren sind vielfältig. Wochenbericht Ausgabe 14/2020. Von Jonas Jessen, C. Katharina Spieß, Sevrin Waights und Andrew Judy. www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.745631.de/20-14-1.pdf

DJI Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.) (2020): DJI Impulse: Ungleiche Kindheit und Jugend. Wie junge Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland aufwachsen. München. https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bulletin/d_bull_d/bull123_d/DJI_1_20_Web.pdf

DUK Deutsche UNESCO-Kommission (2009): Frühkindliche Bildung inklusiv gestalten: Chancengleichheit und Qualität sichern. Resolution der 69. Hauptversammlung. https://www.unesco.de/bildung/inklusive-bildung/fruehkindliche-bildung-inklusiv-gestalten-chancengleichheit-und-qualitaet

DUK Deutsche UNESCO-Kommission (2015): Bildung für Alle 2000-2015: Bilanz. Weltbildungsbericht. https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-01/weltbericht_bildung_fuer_alle_2000-2015_bilanz_2015.pdf

DUK Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.) (2020): Inklusion und Bildung: Für alle heißt für alle. Weltbildungsbericht – Kurzfassung. Bonn. www.unesco.de/bildung/weltbildungsbericht

Hogrebe, Nina/Mierendorff, Johanna/Nebe, Gesine (2021) Soziale Ungleichheit in der Kindertagesbetreuung. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 1/2021, Schwerpunkt: Soziale Ungleichheit in der Kindertagesbetreuung. Editorial, S. 3-6.

ISTA/ Fachstelle Kinderwelten (Hrsg.) (2017): Inklusion in der Kitapraxis. 4 Bände. (Band 1: Die Zusammenarbeit mit Eltern vorurteilsbewusst gestalten, Band 2: Die Lernumgebung vorurteilsbewusst gestalten, Band 3: Die Interaktion mit Kindern vorurteilsbewusst gestalten, Band 4: Die Zusammenarbeit im Team vorurteilsbewusst gestalten.) Verlag Wamiki: Berlin

ISTA/ Fachstelle Kinderwelten (Hrsg.) (2018): Inklusion in der Praxis: Die Kita vorurteilsbewusst leiten. Berlin: Wamiki

Klemm, Klaus (2015): Inklusion in Deutschland. Zahlen und Fakten. Hrsg. Bertelsmann Stiftung. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_IB_Klemm-Studie_Inklusion_2015.pdf

Stahl, Juliane (2015): Wer nutzt welche Qualität? Zusammenhänge zwischen sozioökonomischer Herkunft und Kita-Qualität. Hrsg. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Roundup Nr. 73. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.511607.de/diw_roundup_73_de.pdf

Sulzer, Annika/ Wagner, Petra (2011): Inklusion in der Frühpädagogik: Qualifikationsanforderungen an die Fachkräfte. Expertise für die WIFF im DJI, München. www.weiterbildungsinitiative.de

UNESCO (1994): Die Salamanca Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse. (in deutscher Sprache) https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-03/1994_salamanca-erklaerung.pdf

Wagner, Petra (Hrsg.) (2022): Handbuch Inklusion. Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung. 4. Auflage. Freiburg: Herder.

Yiğit, Nuran (2019): Demokratie und Vielfalt in der Kita seien eine Frage der „Haltung“ pädagogischer Fachkräfte – was ist damit gemeint? In: Demokratie und Vielfalt in der Kita seien eine Frage der „Haltung“ pädagogischer Fachkräfte – was ist damit gemeint? S. 50ff https://www.duvk.de/media/filer_public/a1/6a/a16ab252-69d0-46e6-9a09-fde3b4be809c/faq_final_webversion.pdf

Weitere Veröffentlichungen der Fachstelle Kinderwelten/ISTA

Wagner, Petra (2020): Für alle heißt für alle – ohne Diskriminierung! Inklusion in der Kitapraxis mit dem Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung©. In: Frühe Kindheit, Heft 4/2020, Schwerpunkt Diversität und Inklusion. Verfügbar unter: https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2020/12/Wagner_fK_4-2020_aktuell.pdf.